Fermin Muguruza hat eine Dokumentarfilmreihe über die Musik der arabischen Länder gedreht. Ein Gespräch über HipHop und Revolution – von Patrick Schirmer Sastre (aus der „Berliner Zeitung“ – wieso erscheint sowas in solch einem widerlichen Blatt??)
Fast liest sich Fermin Muguruzas bisheriges Lebenswerk wie eine Chronik von dem, was in den letzten dreißig Jahren auf der Welt passiert ist. Kaum eine Revolution, die der baskische Musiker nicht besungen hätte. Kaum ein Missstand, den er als politischer Aktivist nicht angeprangert hätte. Seit er in den 1980er- Jahren mit der Punkband Kortatu den Ska nach Spanien brachte und die Rockmusik um die baskische Sprache bereicherte, ist Fermin Muguruza einer, der polarisiert – aber auch stets dokumentiert. In der Liebe zu seiner baskischen Heimat, für deren Unabhängigkeit er sich einsetzt, sieht er den Grundpfeiler dafür, sich auch international für die Unterdrückten einzusetzen. Seine neueste Idee: Die Dokumentarfilmreihe „Next Music Station“ über die Musik aus zehn arabischen Ländern, darunter auch Tunesien, Ägypten und Jemen. Beinahe pünktlich zur Revolution starteten die Ausstrahlungen im arabischen Raum, ab dem 25. April laufen sie auf dem Sender Al Dschasira English.
Herr Muguruza, Sie haben von Dezember 2009 bis Ende 2010 in zehn arabischen Ländern gedreht. In vielen dieser Länder ist es nun zu Revolutionen, zumindest aber zu Protesten gekommen. Waren diese Ereignisse zu der Zeit schon abzusehen?
Zunächst muss gesagt werden, dass es sich natürlich um sehr unterschiedliche Länder handelt. Marokko ist ein ganz anderes Land als der Libanon. Andererseits haben alle diese Länder natürlich auch Gemeinsamkeiten. Das sind vor allem die Missachtung der Menschenrechte, die fehlende Meinungsfreiheit und ein neoliberales System, das viele Menschen arm hält. Gleichzeitig gibt es in diesen Ländern viele junge Leute, die wenig Perspektive, aber auch weniger Angst haben als ältere Generationen, sich mit diesem System anzulegen. Man konnte sich daher schon vorstellen, dass es zu Protesten kommen könnte, auch zu Massendemonstrationen. Aber dass es gelingen würde, so schnell zwei Diktatoren wie Ben Ali in Tunesien und Mubarak in Ägypten loszuwerden, das war dann doch überraschend. Selbst für die Völker, die diese Revolutionen durchgeführt haben.
Sie haben „Next Music Station“ für Al Dschasira gedreht. Welche Rolle hat der Sender bei den Aufständen gespielt?
Al Dschasira war enorm wichtig. Sie waren die ganze Zeit am Tahrir-Platz in Kairo dabei. Durch Al Dschasira haben die Menschen überhaupt erfahren, was in ihrem Land vor sich geht. Die sogenannte Facebook-Revolution ist ein Mythos. Das Internet war doch in Ägypten tagelang abgeschaltet! Durch Facebook haben wir vielleicht in Europa erfahren, was passiert. Aber wirklich wichtig für die Aufstände war eher das Fernsehen. Und vor allem die spontanen Versammlungen, bei denen sich die Leute persönlich vernetzt haben.
Europa hat immer noch Probleme, mit der Situation umzugehen.
Europa spielt ein beschämendes Spiel – es ist eine einzige Heuchelei. Gehen Sie Zeitungsarchive durch und schauen Sie sich an, wie diese Diktatoren verteidigt und an der Macht gehalten wurden. Dass ihnen Waffen verkauft wurden, dass sie militärisch beraten wurden. Und plötzlich wurden sie von besten Freunden zu Diktatoren. Sarkozy sprach bis vor Kurzem von Ben Ali als einem Musterbeispiel für Demokratie in der arabischen Welt. Und nun gehen die Europäer hin und wollen den Menschen dort erklären, wie man Demokratie macht. Zu einem Zeitpunkt, an dem die Demokratie in Europa auch nicht funktioniert, weil wir von neoliberalen Märkten regiert werden.
Welche Rolle spielt die politische Botschaft in den Songs der Musiker, die Sie porträtieren?
Wir haben in zehn Ländern über achtzig verschiedene Musiker besucht – da gibt es viele Unterschiede. Man muss den Einfluss der arabischen Poesie im Blick behalten. Oftmals wird mit Metaphern gearbeitet. Der Ägypter Mohamed Mounir, dort ein bekannter Musiker, singt von einer Frau, die in einem Turm eingesperrt ist und heraus möchte. Damit meinte er natürlich sein Land. Dass jemand sich aber hinstellt und sagt: Mubarak ist ein Mörder, das gab es natürlich nicht. Die neuen Umstände werden das sicherlich ändern. Vor allem in Genres wie dem HipHop, die schon immer durch eine sehr direkte Sprache charakterisiert waren.
Viele Musiker haben sich der Revolutionsbewegung angeschlossen …
Das ist richtig. Sowohl in der Kasbah, also in der Altstadt von Tunis, als auch auf dem Tahrir-Platz in Kairo gab es während der Proteste jeden Abend Veranstaltungen, bei denen Musiker gespielt haben. Beispielsweise Badiaa und Amine Nouri in Tunis oder Arabian Knightz und El Tanbura in Kairo. Mohamed Mounir hat die Revolution begleitet, in dem er im Internet Videos hochgeladen hat, in denen er Bilder von den Demonstrationen mit seiner Musik unterlegt hat. Und der ,Hüter‘ der Malouf-Musik, der Tunesier Lofti Bouchnak, hat jetzt ein Lied über die Revolution veröffentlicht.
Wie erklärt sich die Beliebtheit des HipHop in der arabischen Welt?
HipHop ist die Sprache der Jugend. Nicht nur in den arabischen Ländern. In Berlin gibt es ihn an jeder Straßenecke. HipHop ist einfach, man braucht keine Instrumente. Nur jemanden, der die Beatbox bedient. In den arabischen Ländern kommt aber hinzu, dass die Tradition der Poesie auch auf den HipHop großen Einfluss hat. Wenn man dort Rapper nach ihren Vorbildern fragt, nennen sie zunächst Künstler wie den palästinensischen Dichter Mahmoud Darwish oder den ägyptischen Schriftsteller Naguib Mahfouz – und dann erst die Public Enemy oder Tupac Shakur. Hinzu kommt natürlich in den frankophonen Ländern der Einfluss des französischen HipHops.
Sie nennen Fatih Akins „Crossing The Bridge“ eine wichtige Inspirationsquelle für Ihre Filme. Welches Potenzial bietet der musikalische Dokumentarfilm?
Solche Filme bieten die Möglichkeit, andere Länder durch ihre Musik kennenzulernen, deshalb haben sie auch politisches Potenzial. Denn sie erlauben, interkulturelle Brücken zu bauen. Man erfährt, was in anderen Ländern wirklich vorgeht. Und das führt im besten Fall dazu, dass die Menschen ihre Vorurteile abbauen. Letztlich arbeiten solche Filme gegen die Ignoranz an, die dazu geführt hat, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel den Multikulturalismus für gescheitert erklärt. Er ist nicht gescheitert. Im Gegenteil, er ist stärker denn je.
Welche Erwartungen haben Sie für die Entwicklung der arabischen Welt?
Ich weiß es nicht. Ich habe keine Glaskugel mit der ich in die Zukunft schauen kann. Aber ich beobachte, dass die Menschen genug haben. Nicht nur in Nordafrika, auch in Europa. In Griechenland gibt es Proteste, in London ebenso. Und auch in Berlin wird es am 1. Mai wieder Proteste geben. Ich glaube, das alles ist eine globale Bewegung. Die Menschen sagen: Es reicht!
Das Gespräch führte Patrick Schirmer Sastre.
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Zur Person
Fermin Muguruza, geboren 1963 in Gipuzkoa im Baskenland, ist Musiker und Filmemacher.
In den 1980er-Jahren gründete er die Bands Kortatu und Negu Gorriak, die einen Mix aus Reggae, Ska, HipHop und Punkrock zu politischen Texte spielten.
Für den Sender Al Dschasira hat er nun eine Dokumetarfilm-Reihe über junge arabische Musiker gedreht.
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Am 7. Mai wird im Rahmen der Soli-Party für das Peliculoso-Kino in der Köpi der Dokumentarfilm „Checkpoint Rock – Songs from Palestine“ von Fermin Muguruza (2009, Arabisch m. engl. UT) gezeigt.
Ab 23.00 Uhr dann Party mit: Lucha Amada & „DJ Patchu“ (radiochango.com, Barcelona)